New Work am Beispiel der ABB Deutschland Interview mit Alexander Zumkeller

Prof. Dr. Peter Mudra

Peter Mudra: Der ursprüngliche Ansatz von New Work, der von Frithjof Bergmann entwickelt wurde, adressiert stark die Freiheit der Beschäftigten im Rahmen des Arbeitsprozesses und die nach ihren eigenen Vorstellungen zu ermöglichende Persönlichkeitsentwicklung. Dies wurde ein Stück weit als Sozialutopie verstanden. Im Kontext aktueller Betrachtungen von New Work werden allerdings als wichtige Aspekte die Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Selbstorganisation seitens der Beschäftigten immer wieder ins Spiel gebracht. Wie stehen Sie hierzu? Inwieweit hat dies für Ihr Unternehmen eine Relevanz?

Alexander Zumkeller: In einem Unternehmen greift – um es in einem traditionellen Bild auszudrücken – ein Rädchen in das andere. Es wird zwar sehr unterschiedlich gearbeitet, aber keinesfalls isoliert. Wir arbeiten in agilen Teams, die sich sehr unterschiedlich und häufiger neu zusammensetzen, bis hin zu durchaus noch traditionellen Teams, die ihre Arbeitsaufgabe innerhalb eines Prozesses erfüllen und bei denen es auch Vermischungen gibt. Die Selbstverantwortung und Selbstorganisation spielt hier eine wichtige Rolle. Die Beschäftigten sind in der Regel umso zufriedener, je mehr Verantwortung sie haben. Verantwortung schließt hierbei die Haltung ein, dass man etwas gestalten kann. Hier ist die Bereitschaft, für etwas dann auch einzustehen, nach meiner Wahrnehmung sehr groß. Es gehört im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Verantwortung auch dazu, selbst entscheiden zu können und zu wollen. Und daran macht sich dann natürlich auch die Selbstbestimmung fest. Wir erleben bei uns, dass es sehr wichtig ist, die Verantwortung dahin zu geben, wo entschieden werden muss, nämlich möglichst weit an die Basis. Mit dem klaren Angebot, Verantwortung übernehmen zu können, verbindet sich durchaus auch ein Schlüssel, um Mitarbeiter zu binden oder für das Unternehmen zu gewinnen. Das ist übrigens ein wichtiges Stilmittel von Anerkennung: Übertragung von Verantwortung. Anders als das »Lob«, das meines Erachtens im Arbeitsleben unangemessen ist.

Alexander Zumkeller – Arbeitsdirektor / Mitglied des Vorstands ABB Deutschland
Prof. Dr. Peter Mudra

Peter Mudra: Die Ansätze der Veränderungen in der Arbeitswelt und deren unternehmensbezogene Transformationen werden in vielen Unternehmen begrifflich oder konzeptionell in besonderer Weise geprägt. Inwieweit ist dies auch bei Ihnen im Unternehmen der Fall?

Alexander Zumkeller: Der bei uns zum Einsatz kommende Begriff »Future of Work« wird nicht wirklich in der Breite als Brain wahrgenommen. Wenn wir über Future of Work sprechen, meinen wir die Ausstattung der Arbeitsplätze. So wird bei uns in Mannheim in Kürze ein Neubau, der ABB Campus Mannheim, fertig gestellt, bei dem in verschiedenen Ansätzen von Arbeitsplatzausgestaltungen ideale Kommunikations- und Kollaborationsmöglichkeiten bestehen werden. Ich habe den Eindruck, dass der Begriff Future of Work nicht so richtig zündet und zünden wird, da es eigentlich alles, was wir unter Future of Work verstehen, schon gibt. Es handelt sich also nicht um das wirkliche Futur. Insofern sind wir eher an dem Umsetzen der neuesten Trends, was gut und wichtig ist und hoffentlich auch honoriert wird. Und wenn wir den Begriff »Campus« nennen, freut sich schon jeder auf die neuen Möglichkeiten des Arbeitens.

Alexander Zumkeller – Arbeitsdirektor / Mitglied des Vorstands ABB Deutschland
Prof. Dr. Peter Mudra

Peter Mudra: Eine besondere Beachtung im Zusammenhang mit Trends oder Zukunftsthemen wird derzeit der Künstlichen Intelligenz zugemessen. Wie schätzen Sie dies ein?

Alexander Zumkeller: KI ist ja nur die logische Fortsetzung von Automatisierung. Ich bin mir ganz sicher, dass wir KI und Automatisierung mehr und mehr einführen werden, und um es deutlich zu sagen: auch dringend benötigen. Vor dem Hintergrund, dass wir in großem Maße Fachkräfte suchen, ist es für den Produktionsstandort Deutschland überlebenswichtig, dass wir Automatisierung und KI massiv nutzen. Durch ChatGPT wurde nun erkennbar, dass die KI tatsächlich auf dem Weg ist, schlau zu werden. Was natürlich auch Auswirkungen auf die Berufe hat. Denn selbst bei qualifizierten Berufen wird es möglich sein, Standardabläufe auf KI zu übertragen. Hierdurch bleiben dann die Zeiten und Ressourcen übrig für die wirklich anspruchsvollen und kreativen Aufgaben. KI wird uns unglaublich viel Routine abnehmen und Zeit geben, um uns auf jene wirklich wichtigen Sachen zu konzentrieren, die KI noch nicht kann – und auch in den nächsten Jahren nicht können wird. Und KI wird uns helfen, dem Fachkräftemangel ein Stück weit zu begegnen.

Alexander Zumkeller – Arbeitsdirektor / Mitglied des Vorstands ABB Deutschland
Prof. Dr. Peter Mudra

Peter Mudra: Wie begegnen Sie im Kontext der Themen um New Work Ihrer Arbeitnehmervertretung und den dort gegebenen Haltungen gegenüber möglichen Rationalisierungen?

Alexander Zumkeller: Wir sind uns natürlich als Sozialpartner darüber klar, dass es in diesem Zusammenhang Chancen und Risiken gibt. In der Vergangenheit bezog sich die Einführung von neuen Technologien häufig auf Rationalisierungen, die dann fallweise auch mit Arbeitsplatzabbau verbunden waren. Heute sieht das allerdings ganz anders aus, glücklicherweise sehen das auch die Betriebsräte. Ich nenne gerne ein Beispiel von ABB, das ja in der Automatisierungstechnik zu Hause ist, an dem man eine zentrale Intention von Rationalisierung in der heutigen Zeit nachvollziehen kann. Ein Kunde, ein großes, deutschlandweit tätiges medizinisches Labor, hat von uns Roboter gekauft, und zwar nicht, weil sie Laboranten verdrängen wollten, sondern weil sie einfach keine Laboranten bekommen. Diese neue Situation wird auch von Betriebsräten gesehen. Wenn wir heute durch die Produktionsbereiche bei uns gehen, sieht man, dass die Automatisierung sich enorm weiterentwickelt hat. Und nochmals der Zusammenhang: Wir kriegen z. B. für eines unserer Unternehmen derzeit keine Elektriker bzw. Auszubildende. Oder schauen wir zu den Handwerksunternehmen, wo ja auch von denselben großen Problemen berichtet wird. Dort hat man fast noch mehr unter dem Fachkräftemangel zu leiden. Die Gastronomie bekommt keine Köche mehr, der Einzelhandel keine Fachverkäufer. Mit Automatisierung, AR und KI kann ein wesentlicher Beitrag bei dem großen Problem des Fachkräftemangels und der damit verbundenen Wettbewerbsfähigkeit geleistet werden.

Alexander Zumkeller – Arbeitsdirektor / Mitglied des Vorstands ABB Deutschland

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